Können Bäume wirklich miteinander reden? Foto: WaldSchweiz

Verband & Politik | ZeitschriftenLesezeit 4 min.

Die Sprache der Bäume: Was ist wahr, und was ist Humbug?

Können Bäume wirklich schmecken, riechen, fühlen und miteinander sprechen? Seit Jahren spukt diese Vorstellung durch die Öffentlichkeit – angefeuert durch populärwissenschaftliche Bücher und Filme. Doch wie weit ist die Forschung tatsächlich? Wir haben nachgefragt.

Von Sabine Vontobel* | Zahlreiche Publikationen sagen den Bäumen menschliche Züge nach. Sie sollen nicht nur imstande sein, miteinander zu kommunizieren, also gezielt Informationen auszutauschen. Es werden ihnen noch ganz andere Eigenschaften angedichtet. So sollen Bäume etwa riechen, schmecken, fühlen, sich gegen Fressfeinde verteidigen, Nachwuchs-
pflege betreiben oder gar erkrankten Artgenossen helfen können. Vieles davon gehört höchstwahrscheinlich in den Bereich des Wunschdenkens. Die Forschenden, die sich in der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) mit solchen Themen befassen, müssen die Tendenz zur Vermenschlichung der Bäume jedenfalls immer wieder stark relativieren. Denn der Stand des effektiven Wissens hinkt vielen idealisierten Vorstellungen hinterher. Gerade die Aussagen, dass «Mutterbäume» ihre Nachkommen oder kranke Artgenossen versorgen, scheinen übertrieben und sind wissenschaftlich nicht belegt. 

Arthur Gessler, Ökophysiologe und Leiter der WSL-Gruppe «Ökosystem – Ökologie», findet klare Worte: «Es gibt keine eindeutige Bestätigung für den direkten Kohlenstoff- oder Nährstoffaustausch zwischen Bäumen, und schon gar nicht für die Mutterbaumhypothese.» Eine kritische Bewertung Letzterer zeigt laut Gessler, dass viele der Daten, die zur Untermauerung der Annahme angeführt werden, fehlerhaft und zum Teil sogar inexistent sind. Dieses den Bäumen angedichtete Verhalten sei zudem mit vielen bekannten Beobachtungen über das Wachstum von Waldbäumen schlicht nicht vereinbar. «Die Aussagen zum Altruismus unter Bäumen, die in verschiedenen Büchern gemacht werden, bedienen sich der Idealisierung der Natur, um bestimmte Ideen zu vermitteln, für die es keine oder kaum wissenschaftliche Belege gibt.» Ziel sei es wohl, eine Botschaft für die breite Öffentlichkeit möglichst ansprechend aufzubereiten. «Der Hintergrund mag ganz profan Profitorientierung oder ein Sendebewusstsein sein, das aber wissenschaftliche Kriterien ignoriert», so Gessler.

Die Überzeugungen von «sprechenden» Bäumen seien in der Zwischenzeit zwar äusserst populär, aber auch irreführend, da nicht evidenzbasiert. Natürlich würden Bäume, zum Beispiel über Duftstoffe, Informationen austauschen, so Gessler weiter. Diese bewirken dann bei benachbarten Individuen biochemische Reaktionen. Ein solcher Austausch sei indes überall in der Natur verbreitet und nicht mit Sprache, Kognition oder bewusster Reaktion in Verbindung zu bringen. «Die Aussagen in gewissen Büchern beruhen auf fragwürdigen Dateninterpretationen oder entbehren überhaupt einer soliden wissenschaftlichen Grundlage», betont der Ökophysiologe.

Wissenslücken sind gross

Eigentlich schade, denn die Vorstellung, dass Bäume willentlich Informationen austauschen, hat definitiv einen gewissen Reiz. Nicht von der Hand zu weisen ist die Tatsache, dass Wälder ausgeklügelte und äusserst vielschichtige Ökosysteme sind, die es um jeden Preis zu erhalten gilt – und somit auch, dass sich in einem Suppenlöffel Waldboden wohl viel mehr abspielt, als der Mensch bis heute verstehen kann. Als «Wood Wide Web» bezeichnen Forscherinnen und Forscher das alles durchdringende Pilzgeflecht im Waldboden. Es verbindet tatsächlich viele Bäume, auch über die Artgrenzen hinweg. Aber ob Bäume auf diesem Weg direkt Informationen austauschen, ist völlig unbekannt. 

Rund ein Drittel der Schweizer Grosspilzarten lebt als Mykorrhizapilze in Symbiose mit den Waldbäumen. «Die Pilze verbinden sich mit den Feinwurzeln der Bäume und tauschen Nährstoffe wie Stickstoff, Phosphor und Wasser gegen Zucker aus», schreibt die WSL-Pilzexpertin Martina Peter, Leiterin der Gruppe «Ökologische Genetik». Dieses riesige, unterirdische Netzwerk sorgt also zweifelsfrei für die Interaktion zwischen Bäumen und Pilzen. Es hingegen als Pipeline für den «Datentransfer» von Baum zu Baum heranzuziehen, ist auch für Martina Peter eine mehr als gewagte Vermutung. Die Wissenslücken seien enorm. Zudem sei es schwierig, in Feldstudien eindeutige Beweise für einen Stofftransfer von Baum zu Baum via Mykorrhizanetzwerk zu erbringen. «Es gibt viele Einflussfaktoren, die man berücksichtigen muss. Zudem spielt sich alles versteckt im Boden ab», schreibt sie. 

Unter anderem mithilfe genetischer Methoden sind die Wissenschaftler der WSL derzeit daran, zu untersuchen, welche Gene bei Pflanzen und Pilzen aktiviert werden, wenn diese in Symbiose gehen. Ausserdem gibt und gab es einige Experimente im Wald und in grossen Pflanzencontainern, die einen Zuckeraustausch zwischen Nachbar-
pflanzen via das Pilznetzwerk überprüften. Sie zeigten, dass in Fällen, wo Zucker von Baum zu Baum transportiert wurde, die Mengen nur sehr gering waren. Der grösste Teil blieb in der mit dem Pilz verbundenen Feinwurzel und wurde nicht in die oberirdischen Pflanzenteile weitergeleitet. Zudem konnte nicht klar nachgewiesen werden, ob dies effektiv via Mykorrhizanetzwerk passiert. Zusätzliche Versuche sind laut der WSL im Moment nicht geplant.

Vieles denkbar, wenig gesichert

Das «Wood Wide Web» hat indes zweifelsohne eine Reihe von Vorteilen für die Pflanzen. Gemäss Martina Peter ist es beispielsweise für Sämlinge einfacher, über ein bereits bestehendes Pilznetzwerk Partnerschaften zu bilden. Das heisst, die Sämlinge können im Waldboden an etablierte Geflechte andocken und müssen diese nicht zuerst aufbauen. Diese Beobachtung führte wahrscheinlich zur sogenannten Mutterbaumhypothese, weil Sämlinge im Bereich von anderen Bäumen oft wirklich besser gedeihen. Auch die Aussage, dass sich Bäume gegen Fressfeinde wehren können, ist nicht gänzlich abwegig. Die wenigen Versuche mit Topfpflanzen – davon jedoch nur eine mit Baumsämlingen – weisen darauf hin, dass über das Pilznetzwerk unbekannte Botenstoffe transportiert werden können. Das sind eventuell Abwehrmoleküle, die ein Baum produziert, wenn er von Fressfeinden angegriffen wird. Die Studien zeigen, dass dann eine Abwehrreaktion in Nachbarpflanzen nachzuweisen ist, ohne dass sie selbst bereits angegriffen wurden. Doch keine Studie hat bis jetzt diese Botenstoffe beschrieben. 

«Was unterirdisch im Waldboden abläuft, ist also weitgehend unerforscht. Wir wissen gesichert, dass es das Pilznetzwerk gibt und dass Bäume gleicher oder unterschiedlicher Arten manchmal die gleichen Pilzindividuen teilen. Es gibt Hinweise darauf, dass Bäume darauf reagieren, was anderen Bäumen geschieht – zum Beispiel bei einem Befall mit Blattläusen. Wir wissen aber nicht genau, wie und auf welchem Weg das passiert», schreibt die WSL. 

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